In welchen (Achtung: Mehrzahl) Rahmen sich das MfS mit Zuschauerzahlen beschäftigte, geben die bekannten, vorliegenden Akten nicht vollständig her. Eigentlich gar nicht, nur mittelbar – da aber auch einleuchtend: Eine öffentliche Veranstaltung mit einem zu erwartenden Zuschaueraufkommen in den uns bekannten Dimensionen, also meinetwegen 5000 oder 8000 gegen Stahl Riesa oder 23.000 plus x gegen Bayer Uerdingen, war auch dazumal eine Angelegenheit, der eine Sicherheits- und Ordnungskonzeption vorausging. Da wurden nicht nur Würstchen und Brötchen „geplant“.
Da ging es dann aber, auch das leuchtet ein, meine ich, nicht (kaum) um ideologische, sondern sicherheits-organisatorische Fragen. (Kaum, weil im Falle Uerdingen beispielsweise auch „Kontaktfragen“ zu eventuellen Fans der Uerdinger vorausbedacht wurden und hierfür sogar ((mindestens)) ein Ministerbefehl ausgedehnt „griff“: „Dienstanweisung 4/71 über die politisch-operative Arbeit im Bereich Körperkultur und Sport* vom Dezember 1971, in Verbindung zu betrachten mit der 1/61 oder 66, kann ich gelegentlich raussuchen. Aber das will ich hier gar nicht vertiefen, weil es um Kontaktfragen der Sportler ((aller Sportler, nicht nur der Fußballer und ganz und gar nicht allein der des 1. FC Union Berlin)) selbst und der Zuschauer, aber keineswegs um Zuschauerzahlen ging. Dass solch ein Ministerbefehl die Linie vorgibt und nicht Details, die in den Abteilungen ((hier HA XX / 3)), für „Zuschauerangelegenheiten“, beispielsweise bei den „Westkontaktspielen“ 1986, war dann auch die HA XX / 8 zuständig) ausgearbeitet wurden ist nahe liegend.)
BStU, MfS-Bdl / Dok Nr. 001460, Seiten 1 bis 31
An dieser Stelle, weil nun von der Firma die Rede war, ein kleiner Einschub: Jeder, der vom MfS drangsaliert, belästigt, bearbeitet oder nur verärgert wurde, hat meinen hohen Respekt. Ich kenne eine Reihe von persönlichen Akten, eine Reihe von Leuten, die eingesperrt waren aus politischen Gründen. Da sehe ich – im Sinne von auch wissenschaftlicher, ebenso persönlicher Aufarbeitung, keinen Grund für ein „... ist ja zwanzig Jahre her...“. Im Gegenteil, denn davon würden, meine ich, die ganz falschen Leute profitieren.
Zur Absicherung der Heimspiele gegen Uerdingen, Lausanne und Lüttich waren vermutlich einige MfS-Leute mehr im Einsatz, als gegen Stahl Eisenhüttenstadt im Jahr zuvor. Um die Ordnung kümmerten sich verschiedene FDJ-Ordnungsgruppen, so die der Hochschule für Ökonomie, der Humboldt-Uni, auch der Interflug Ingenieur-Schule und ebenso „union-eigene“. All das ist über und mit Polizei, MfS und Arbeitsgruppe Ordnung und Sicherheit des 1. FC Union Berlin organisiert worden. Denn es ging eben nicht allein um „die Mauer muss weg!“-Rufe oder Hertha-Aufnäher auf Union-Kutten, sondern um das Sichern von Rettungswegen, schmalen Eingängen, dem „klapprigen“ Bahnhof und so weiter – um einfachen reibungslosen Ablauf der Veranstaltung.
„Konzeption zur Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit im Zusammenhang mit den Fußballspielen des 1. FC Union Berlin gegen Bayer 05 Uerdingen, Standard Lüttich und Sports-Lausanne (IFC-Wettbewerb)“ vom 20.05.1986.
Die Zuschauerzahlen. Hier sehe ich nach wie vor nicht das MfS am Drehen. Ich denke, dass es einfach ein „einfacheres“ Zählsystem war. Die Zuschauerzahlen endeten meist mit Nullen: 18.000 oder 12.500 oder 3000. Überall. Böhlen, Krumhermersdorf, Dresden. Glaubt jemand, dass punktgenau 3000 beim Spiel gegen Stahl Finow an der AF waren? Ich denke, dass vor der Halbzeitpause die ausgegebenen Kartenrollen gegen die noch vorhandenen Kartenbestände gerechnet wurden – das war es. (Die Zahl wurde, soweit ich es in Erinnerung habe, stets schon in der Halbzeitpause bekannt gegeben. So nannte sie dann „Sport aktuell“, so die Berliner am Montag darauf. Ob damit nun auch der „Klassenfeind“ beeindruckt oder beschissen werden sollte – nunja... Detailabrechnungen werden dann irgendwann ausgearbeitet und dem DTSB bzw. DFV als Fachverband vorgenommen worden sein. Denn es gab sie – aber nicht für die Öffentlichkeit - und das sicherlich nicht, weil da manipuliert wurde, sondern weil es dann auch keinen mehr darüber hinaus interessiert hat.) Auch die Kapazität des Stadions dürfte nie 100%ig festgestanden haben, sie wurde festgelegt anhand von Plänen für den Bau und für die Sicherheit. Differenzen programmiert. Von 25.000 sprach der Chef der Sportstättenverwaltung, damals zuständig, in den UNION-Informationen mal nach den Umbauarbeiten Anfang/Mitte der Achtziger. 23.000 gibt die FuWo-Sonderausgabe 86/87 an. Bau-Archivakten aus jener Zeit gibt es nicht mehr, nach derzeitigem „Forschungs“stand.
Da wurde gut gelaunt gebaut, wenn das Tiefbaukombinat Kantensteine und Beton hatte, und nicht gebaut, wenn nix da war. Da wurde weiter gebaut, wenn ein paar Tausend Ziegel übrig waren, die gute Geister beim Kombinat nicht zu furchtbar bilanzieren mussten – und schwupps stand ein Anzeigetafelhäuschen da. Und unser Herr Hexamer, Technische Kommission, freute sich. Der Bedarf an Zuschauerzahl-Genauigkeit ist sicherlich damals anders behandelt worden, als es heute der Fall ist.
Und schließlich, obwohl es in diesem Thema und auch beim Geschichtsausflug um die Alte Försterei und nicht um den JSP und den damaligen Dauergast dort geht: Ich sah manches Spiel dort, geb’ ich gerne zu. 10:0 gegen Sachsenring und 10:0 gegen Chemie Leipzig. Oder Aue oder HFC. Ich hab eine oft nicht sonderlich volle Arena in Erinnerung. Dorthin gerade hätte man die Firmisten doch zuhauf abordnen müssen; wenn’s um den Titel gegen Dresden oder Lok ging, füllte sich das Ding dort doch von alleine. Ebenso, wenn Nottingham oder der Genf... Aber mit diesem Stadion und jenem Verein will ich hier nicht mehr Platz verschwenden als eventuell nötig.
„Hauptsorge“ der Stasi, dort wie bei uns, wie in Magdeburg oder Dresden, waren Kontaktfragen der Spieler, insbesondere hinsichtlich „Abwerbungsversuchen“ – möglichen „Fluchtversuchen“, Sympathiebekundungen für „Westvereine“, sei es bei Dresden vs. Hertha oder in Prag (vgl. BStU-Zentralarchiv, MfS – HA XX/AKG, Nr. 6684), oder bei Bayern vs. Magdeburg oder auch Reinickendorf gegen Lok Bergen. Und natürlich Fragen von Sachbeschädigungen durch Fans etc., insbesondere im Rahmen von Auswärtsfahrten. Diese Fragen hatte dann keine „Ideologie“- (HA XX / VIII beispielsweise) oder „Bürgerrechtlerbehandlungs“-Abteilung des MfS, die sehr eifrig waren, unbestritten, sondern die fast kriminalpolizeilich tätige Hauptabteilung zu erledigen.
Über ihre Kreisdienststellen und Bezirksverwaltungen. Nicht über das Ministerbüro.