Tach zusammen,
dies ist der erste meiner Beiträge in diesem Forum, wenngleich ich bereits im methusalemischen Alter von 50 Jahren bin.
Wer sich durch diese Zeilen kämpfen möchte, liest dann die Vorstellung eines Spätinfizierten nebst seines Sohnes, seines Zeichens Unionfan seit einem Jahr und Vereinsmitglied seit Monatsanfang.
Meine Wenigkeit (50) lebt mit der Familie (darunter mein Sohn (15) ) im hohen Nordwesten Niedersachsens. Der Herr Sohn ist seit Sommer letzten Jahres Union-Fan und zwar immer glühender. Ich selber sonne mich derweil auch in der Gewissheit, meinerseits vom langjährigen Sympathisanten auch zum Fan geworden zu sein. In meinem hohen Alter.
Allerdings hat es sich früher auch nicht so recht ergeben, denn erstens befand sich zwischen mir und Union zunächst so ne dämliche Grenze. Ich wuchs in Hannover, auf und wurde - zweitens - in eine Familie von 96ern geboren und hing - drittens - zudem eigentlich immer dem ja auch ganz passablen support-your-local-club-Gedanken an. Dass meine Klassenkameraden sich seinerzeit für hunderte Kilometer entfernte Vereine aus Mönchengladbach, Hamburg, Bremen oder München (man stelle sich vor!) entschieden, nur weil die vielleicht mal Meister wurden oder so schöne Trikots hatten, habe ich nie wirklich verstanden. Ich wurde 96er, durfte sogar als Schüler für die spielen und trug mit Stolz das rote Trikot.
Bedingt durch die Möglichkeit, DDR-Fußball sehen zu können, erst recht bedingt aber durch die Tatsache, dass der größere Teil meiner Familie in der DDR lebte und ich regelmäßig dort zu Gast war, interessierte ich mich dann als Jugendlicher auch für den dortigen Fußball. Je mehr ich erfuhr, je älter ich wurde, desto mehr drückte ich dort Union die Daumen – dem aufmüpfigen Underdog im unfairen Kampf gegen den mir frühzeitig höchst unsympathischen BFC Dingens.
Meine Sympathie zu Union blieb nach der Wiedervereinigung erhalten und mit jedem Rückschlag und jedem Wiederaufstehen der Rotweißen wurde sie größer.
Nach diversen Umzügen landete ich letztendlich im Raum Oldenburg/Bremen. Ich wurde Vater eines Sohnes und einer Tochter und als Ersterer ins passende Alter kam, nahm ich ihn ab und an mal ins Niedersachsenstadion mit. Er begleitete mich zwar wohlwollend – dass da aber kein wahrer Funke übersprang, war schnell zu erkennen.
Na gut, dachte ich, dann wird er wohl wie so viele seiner Schulkameraden irgendwann bei Werder Bremen landen. Werder allerdings interessierte ihn auch nicht, die typischen Erfolgsclubs schon gar nicht.
Nun ist es so, dass ich mit meinem Sohn seit er acht Jahre alt ist, eine jährliche Sommerreise nach Berlin unternehme. Anfangs war es als einmalige Aktion geplant: Junge, jetzt biste acht, jetzt kannste mal langsam Deine Hauptstadt kennenlernen. Aber er war so fasziniert von Berlin (ich selber bin es schon seit Jugendzeiten) , dass er unbedingt wiederkommen wollte. Daraus wurde eine Tradition. Die jährliche Vater-Sohn-Berlinwoche, für ihn (für mich allerdings auch) nun schon seit sieben Jahren ein jährliches Highlight. Aber immer in den Sommerferien und somit auch immer in der fußballerischen Sommerpause.
Und dann kam 2017. Der Herr Sohn war inzwischen 14 und immer noch ohne Lieblingsverein. Inzwischen ging mir so langsam das Licht auf, dass ihn nur eine einzige Stadt in Deutschland wirklich faszinierte und dass der künftige Club seines Herzens wohl nur ein Berliner Verein sein könne. Im Sommer 2017 ergab sich die theoretische Gelegenheit, zwei Freundschaftsspiele zu sehen. Hertha gegen Liverpool (na gut, der Gast wäre einigermaßen reizvoll gewesen, aber wer bitte will riskieren, dass sein Sohn Fan der todlangweiligen Hertha wird) oder – das glücklicherweise unwettertechnisch verschobene – Spiel Union gegen Queens Park, nachgeholt am Abend unseres Anreisetages.
Wir gingen hin. Unser erster Besuch in der wunderschönen immergrünen Alten Försterei. „Nur“ ein Freundschaftsspiel, aber ich merkte schon während des Spiels, dass mit meinem Sohn gerade irgendetwas passierte. Es funkte noch am gleichen Abend. Am Wochenende darauf saßen wir in der Abseitsfalle und erfreuten und eines 1:0-Auswärts-Startsieges in Ingolstadt. Und irgendetwas, „musste“ ich feststellen, hatte mich auch mehr fasziniert als ich erwartet hätte. Die Atmosphäre beim Heimspiel, das wirklich wunderschöne Stadion – hatte alles was.
Auf dringenden Wunsch des Sohnes sahen wir ab diesem Zeitpunkt möglichst jedes Spiel im Fernsehen. In Braunschweig dann das erste Punktspiel und zu meiner Verblüffung wollte er gleich mitten rein in den Gästeblock und zu meiner noch größeren Verblüffung sang er jedes angestimmte Lied inbrünstig mit.
Ich begann mich mit der Philosophie und der Geschichte von Union immer stärker auseinanderzusetzen, las mehrere Union-Bücher, abonnierte die Stadionzeitung und je mehr ich lernte, desto mehr gefiel es mir. Während zeitglich in „meinem“ Hannover ein Präsidium daran schraubte, 50+1 auszuhebeln und die Fans der Meinung waren, es sei ein besonders sinnstiftendes Mittel, als Protest dagegen die Mannschaft zu bestrafen und ein Jahr lang zu Schweigemönchen zu mutieren.
Ich erwischte mich bei dem zuvor undenkbaren Gedanken, dass wenn ich jetzt die Wahl hätte, einem Union-Spiel oder einem zeitgleich stattfindenden Hannover-Spiel beizuwohnen, die Wahl auf Union fallen würde. In Bielefeld sollte dann genau das passieren.
Mein Sohn derweil, hielt und hält hier im Nordwesten, in seiner Klasse umrundet von Werder-, Dortmund-, Bayern-, hsv- und sonstwas-Fans (und einem zugereisten Herthaner) eisern die rotweiße Fahne hoch.
Diese Saison waren wir in Bielefeld, haben jetzt Paderborn und Dortmund vor uns und vorletzten Sonntag war nun der große Tag, dass wir das erste Heim-Punktspiel sehen konnten. Gab es zusammen mit der Mitgliedschaft zum 15. Geburtstag. Mitgliedsausweis und Mitgliederschal hat er stolz wie Oskar am Montag danach im Zeughaus entgegengenommen.
Es sei festzustellen:
Union ist ein wirklich unheimlich toller Verein. Hier ist man eben nicht „Kunde“, hier ist man Teil einer Gemeinschaft, in der Fußball in seiner puren schönsten Form noch im Mittelpunkt steht. Es sind so viele kleine und große Dinge, die faszinierend sind. Alles aufzählen kann ich gar nicht, wisst Ihr eh selber.
Abgesehen davon, dass das Stadion an der Alten Försterei tatsächlich für mich das schönste Stadion Deutschlands ist (und eben nicht eine der austauschbaren Hakle-Feucht-Arenen ist), ist die Atmosphäre der Hammer. Keine Pfiffe, kein vorzeitiges Gehen, Daueranfeuerung und dazu jedes Mal auch seitens des Vereins immer sehr viel Respekt vor dem Gegner. Das ist schön so. Keine Tormusik. Als Stadionsprecher endlich mal nicht einer dieser immergleichen Marktschreier anderer Stadien, was gehen mir anderswo diese Rummelplatzansager auf Drogen auf die Nüsse. Keine dämlichen Halbzeitspiele, kein Chi-Chi, dazu die beste Vereinshymne des Landes (leider hat ausgerechnet Hannover hingegen den vertonten Minderwertigkeitskomplex). Hier ist Fußball, hier ist Stimmung, hier ist Fußball, Bratwurst, Bier, hier wird gestanden und gesungen, hier ist es egal, wer Du bist. Dieser Verein ist anders aber – glücklicherweise – trötet er das nicht in die Welt hinaus, sondern ist selbstbewusst genug, es die Leute selber erkennen zu lassen. Vereine, die erstmal jedem erzählen müssen, wie anders sie sind, oder wie antikommerziell-weltverbessernd oder wie sonstwarumwietoll…. Wer das jedesmal betonen muss oder das als Grundlage seines Geschäftsmodells macht, überzeugt mich wenig.
Für meinen Sohn freue ich mich riesig, dass er mit vollem Herzen Teil des – ich sag’s mal so – faszinierendsten Vereins des Planeten geworden ist.
Was jetzt aus mir so wird, werde ich sehen. Ich gehörte selber immer zu den Klugscheißern, die zu berichten wussten, das es nicht ginge, zwei Vereine im Herzen zu haben. Aber genau das ist mir passiert. Seine Heimatstadt reißt man kaum aus dem Herzen. Aber der Union-Virus hat mich erwischt, und zwar volle Elle. Irgendwas ist passiert, was mich vom Sympathisanten zum Fan von Union gemacht hat – das ist so, wie ich inzwischen eingestehe. Jetzt renne ich plötzlich als alter Sack wieder in Fanblöcke, trage dort ein rot-weißes Turnhemd, singe mit und freue mich unglaublich auf Paderborn und besonders Dortmund. Und wenn das einem meiner hannoverschen Freunde nicht passt, muss er damit eben trotzdem leben.
Es ist, verdammt nochmal, ein geiler Verein.
Neu-Eiserne Grüße aus Nordwest