Was genau lässt Dich daran zweifeln, dass ein Mensch wie Urs Fischer nach der Niederlagenserie und der Verbindung zum Verein im Angesicht der Tabellen- und Spielplansituation auch von sich aus sagt, dass ein Trainerwechsel nun sinnvoll ist?
Urs Fischer hat über zwei Monate hinweg viel versucht, nichts ist besser, vieles schlechter geworden. Impulse, die er gesetzet hat, sind verpufft.
So wie ich Urs Fischer bei Union kennengelernt habe, überrascht mich das Ende der Geschichte überhaupt nicht.
Auf einem völlig anderen Blatt steht die Frage, ob es mit einem anderen Trainer zum Klassenerhalt reicht. Natürlich kann es dennoch schiefgehen. Aber das Repertoir an Maßnahmen, die Urs Fischer bringen konnte, war ausgeschöpft. Hoffen wir, dass der Trainerwechsel als ultima ratio - der Blick auf die Tabelle und die Empirie zeigt, dass er es ist - funktioniert.
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Spielst Du selber Fußball. Machst Du selber irgendeinen Sport. Wenn ja, hattest Du schon mal Phasen, in denen der Erfolg ausblieb? Und meinst Du wirklich, dass unter sportlichen Gesichtspunkten 2 Monate eine wirklich lange Zeit sind?
Also ich betreibe diesen Sport seit 47 Jahren. Und es gab in dieser Zeit auch mal Phasen, in denen nichts zusammenlief, obwohl man vom Papier her einen Kader hatte, mit dem man sich das rational nicht erklären konnte. Und ich habe solche, und wenige Male längere Durststrecken mit Mannschaften durchlebt - und das, oh, man staune - mit dem selben Trainer. Ein solches Vorgehen konnte man sich zu diesen Zeiten in den unteren Klassen (Landesliga, Bezirksliga) damals auch gar nicht leisten, oder besser gesagt, man hatte einfach eine völlig andere Einstellung zu solchen Geschichten. Da hat man sich zusammengerauft, hat weiter gearbeitet und den Bock mit dem Trainer gemeinsam umgestoßen.
Warum dieses im Sport wünschenswerte und eigentlich aus menschlicher Sicht völlig normale Verhalten (es sei denn es gibt unüberbrückbare menschliche Probleme zwischen Mannschaft und Trainer) in einem Bundesligaverein (angeblich) nicht möglich ist, hat nur einen einzigen Grund. Nämlich dass ein solcher Verein ein Unternehmen ist und es reinweg um Kohle geht und damit immer um stetigen und sofortigen Erfolg. Aber da kann ich auch genauso gut Arbeitsplätze vom Pegelstand des Mississippi abhängig machen. Sportlicher Erfolg ist nämlich immer nur bedingt plan- und berechenbar. Und auf gar keinen Fall ist er erzwingbar. Zwei Monate kein Spiel gewonnen, nach 5 Jahren fulminantem und ständigem Bergauf. Adieu. Ich finde es schon rein menschlich eine Pharce. Der Witz an der Sache ist, dass dies alles auf der reinen Hypothese aufbaut, dass es damit besser wird. Aber wehe wenn nicht.
Ich bin zu 100% der Überzeugung, wenn wirklich alle im Verein fest zusammengestanden hätten, man sich eindeutig auf allen Ebenen pro-Fischer positioniert hätte und überhaupt keinen Zweifel daran gelassen hätte, dass wir gemeinsam durch diese schwere Saison gehen, dass Urs dann jetzt noch unser Trainer wäre und vor allem, dass wir den Abstieg eben auch mit Urs verhindert hätten. Aber gut, auch das bleibt nun natürlich rein hypothetisch.
Auf jeden Fall hätte das meinem Verständnis von meinem Verein entsprochen. So muss ich mich halt damit arrangieren, dass dieses Verständnis obsolet ist und die Stärke meiner Identifikation einfach drosseln. Dann bin ich beim nächsten Mal auch nicht mehr derart enttäuscht.
Und noch eine Anfügung, weil es ja heißt, Urs hat alles versucht und probiert. Das kann er gar nicht - jedenfalls nicht unter absolut bewertbaren und fairen Bedingungen. Wann in dieser Saison hatte er denn mal stabil über mehrere Spieltage einen einheitlichen Kader zusammen. Ohne ständige Verletzte und Gesperrte.
Nie, zu keinem Zeitpunkt. Wenn er also "alles" probiert hat, dann doch unter äußerst widrigen Bedingungen. Und trotzdem in Madrid erst in der Nachspielzeit verloren, gegen Braga in der Nachspielzeit verloren, gegen Neapel unglücklich verloren und dort 'nen Punkt geholt (beim italienischen Meister). Und auch in einigen BL-Partien lief es wirklich unglücklich. Verdient verloren haben wir gegen RB, Hoffenheim, Bremen, Frankfurt und Leverkusen. Wobei Leverkusen unter den jetzigen Umständen auch überhaupt nicht der Maßstab sein kann. Und das ändert sich jetzt mal locker flockig mit'ner neuen Ansprache und 'nem neuen Gesicht. Ich bin gespannt. Bei Urs wussten wir zu 100%, was wir haben. Was wir jetzt bekommen wissen wir nicht.
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Dein Verweis auf den - leistungsorientierten - Amateursport, den ich auch kenne, ist vielleicht romantisch, aber gleicht dem Vergleich von Äpfeln und Bowlingkugeln. Beides ist rund, beides hat manchmal sogar Löcher, das war es dann aber auch. Was sich bei Dir nett anliest, basiert auf realitätsfernen bis falschen Prämissen.
Ob es einem nun passt oder nicht - Union spielt Bundesliga und da läuft das Spiel anders als im Amateurbereich. Der Druck ist größer, weil Einnahmen nicht vorrangig in Spieler und kleinere Infrastrukturprojekte mit kurzer Planungs- und Finanzierungslaufzeit gesteckt werden. Union Berlin ist faktisch ein mittelständisches Unternehmen mit hunderten Mitarbeitern, komplexen Finanzierungen und damit einhergehenden Verbindlichkeiten, langfristigen Zielen abseits des Platzes und einer komplexen Eindindung in die (Fach-)Öffentlichkeit. Da gelten andere Spielregeln als in der Landesliga, wo vorrangig "auf dem Platz" zählt. Ein Abstieg wäre eine Katastrophe.
Der realistische Blick auf den Terminkalender und den Spielplan zeigt, dass die Zeitfenster für einem Trainerwechsel dünn werden. Gelingt in den kommenden Wochen kein Turnaround, holen wir bis Ende Dezember nicht mindestens 6, besser 9 Punkte, ist die Messe mit großer Wahrscheinlichkeit gelesen. Der realistische Blick auf die Ergebnis- und Leistungsentwicklung zeigt, dass der Trend zuletzt in eine negative Richtung ging. Man hätte Augsburg und Bayern noch abwarten können. Gerade das Augsburgspiel ist aber eben essenziell.
Natürlich stünden wir wohl anders da, wenn "alle", insbesondere die Mannschaft, eine verschworene und selbstbewusste Einheit wäre. Das ist aber eben keine Sache, für die man sich mal eben so entscheidet, sondern eine komplexe Entwicklung. Mannschaftsseitig liegt das auch zentral in den Händen des Trainers. Es ist auch eine nette Floskel, vom Präsidium zu verlangen, mit vollem Vertrauen hinter einem Trainer mit einer so negativen Entwicklung zu stehen. Das Präsidium ist nicht nur dem Trainer gegenüber in der Verantwortung, es ist auch den vielen Mitarbeitern und dem Gesamtverein gegenüber verantwortlich. Selbstverständlich geht die zusehends bedrohliche Lage auch am Vertrauensverhältnis zwischen Vereinsspitze und Trainer nicht ohne Weiteres vorbei. Genauso wird Urs Fischer irgendwann begonnen haben, sich und seine weiteren Möglichkeiten zu hinterfragen.
Über die Dimension Mannschaft und Kabine haben wir dabei noch nicht gesprochen. Dass aber auch da massiv angekratztes Selbstvertrauen und (Selbst)Zweifel vorhanden sind/waren zeigen Reaktionen der Spieler in Medien, aber auch die Spiele selbst (rote Karten, unerklärliche Böcke).
Wenn Urs Fischer in den letzten Monaten nicht alles ihm Mögliche versucht hätte, hätte er früher gehen müssen. Wir sind kein Landesligist, sondern Profiverein, bei dem es eben auf dem Platz unter dem Strich nicht um den Spaß geht, sondern jm Leistungsoptimierung (muss einem nicht passen, ist aber so). Ich glaube und sehe aber nicht, dass Urs Fischer nicht alle Register gezogen hätte, die er gesehen hat. Es ist natürlich auch gut möglich, dass irgendwann auch Fischers Fantasie begrenzter wurde. Offenkundig war der Exit ja bereits geplant.
Vielleicht liegt in der Rückschau, die bekanntlich immer opportunistisch und leicht ist, auch genau da der Fehler. Meine Wahrnehmung war schon, dass gegen Ende der letzten Saison im Kollektiv erste Überlegungen über einen Umbruch in der sportlichen Leitung angestrengt wurden. Vielleicht wäre es besser gewesen, auf dem Höhepunkt ein feierliches Ende zu begehen. Dagegen sprach aber nachvollziehbar die Logik des Fußballs, in der die Belohnung für eine gute Platzierung bzw. die Qualifikation für die Königsklasse erst im Folgejahr kommt. Es sei denn, es gibt einen Titel.