So mal meine Erlebnisse rund ums Spiel.
03.10., 02:30 Uhr London-Paddington. Der Wecker reißt mich aus meinen Träumen und es heißt aufstehen, denn der Tag war ganz im Rahmen des Feiertags, also Union mit AF und Oly ausgerichtet. War, denn der Plan funktioniert bereits jetzt nur so Semi. Mit Semi mein ich eigentlich so gar nicht. Noch vor dem Auschecken offeriert mir Kind 2 -mit entsetzen Gesicht- dass sie dachte, wir fahren vor dem Spiel in der AF nochmal nach Hause. Schließlich hat sie keine Union-Sachen eingepackt! Außerdem hat Kind 1 seine Karte auch noch zu Hause liegen! Echt jetzt? Da ja nicht nur aller guten Dinge drei sind, muss nun auch das Muttertier zu meiner sinkenden Laune weiter beitragen und gibt den Kindern natürlich verbal recht. Verdammtes Pack! Ist ja nicht so als hätten wir uns darüber nie unterhalten. Nun gut, Männer erleben diese Form der Amnesie ja jedes Jahr am 23.12. und da aufregen nichts bringt, halte ich es mit Schulz von Thun…Man sagt immer etwas, auch wenn man nichts sagt! So verbringen wir die Fahrt zum Flughafen schweigend.
07:00 Uhr, Luton-Airport. Auf dem Rollfeld sehe ich dann doch tatsächlich einen Unioner der mit uns fliegt. Im Flieger begrüß ich ihn mit Eisern, was er mit einem irritierten Oisern erwidert . Ah ein Brite, ich hätte jetzt echt Lust mich mit ihm zu unterhalten. Wie ist er zu Union gekommen, seit wann fliegt er zu spielen und wie steht er zu dem Thema Union im Oly? Wir sitzen aber zu weit auseinander und auch nach der Landung ergab sich keine Gelegenheit auf ein Gespräch. So verorte ich die Begegnung als gelebte Folklore und weniger als Gentrifizierung des aussterbenden britischen Imperialismus.
16:00 Uhr Alkopole, Berlin-Alexanderplatz
Nach dem wir nun mit dem Frankfurter(Main) auch den letzten aus unser Gruppe eingesammelt haben, heißt es noch schnell ne Molle zischen und dann gegen 16:30 Uhr, ab Richtung Charlottenburg. Die Bahn ist erwartend gut gefüllt und über mögliche Stürze muss sich niemand Gedanken machen. In Eichkamp begrüßt man uns mit einem: ”Kalte,Kalte, Kalte Försterei-Plakat“. Kann man so bringen und weil ich diese Art von Humor den blauen gar nicht zugetraut hätte vergebe ich einen virtuellen Kreativ-Punkt.
S-Bahnhof Oly dann schon gut gefüllt und die Massen an Unioner wirkten dann doch, zumindest für mich, etwas überbordend. Nachdem Kind 2 noch eine gefühlte Ewigkeit an den Damentoilette mit warten verbrachte hieß es, auf jetzt(!). Vorbei an den Straßenhändlern, welche gute Geschäfte mit Begegnungsschal machten. Wie man da sein Geld ausgeben kann, versteh ich genauso wenig wie Mandarin, RIP Pepe, aber gut. Am Marathontor hab ich dann endgültig meine Möglichkeit als ”Vater des Jahres“ ausgezeichnet zu werden verloren. Denn der einsetzende Regen sorgte dafür das die Kinder innerhalb von wenigen Minuten durchnässt waren, mit Jacken statt Pullovern hätte man den Prozess sicher nicht gewonnen, aber doch verlangsamen können. Zur Strafe opfere ich meine Jacke und verbringe den restlichen Tag mit nassen Trikot. Bei Dauerbeschallung von Christian Arbeits Verhaltensregeln, verbrachten wir ca 10 Minuten vor dem Einlass. Das gleiche Zeitfenster benötigten wir dann am Block L,M um durch den Tunnel ins Innere des Stadions zu gelangen. Für mich unverständlich wie man so fahrlässig und unkontrolliert jeden reingelassen hat. Mein Ordner meinte nur, ”zeig mir mal Alibimässig deine Karte!“ Für einen Blick auf die Karte war er sich dann aber zu schade. Der ganze Bereich war komplett überfüllt und bei einer Panik wären Tote sicher im möglichen Bereich gewesen. Hier muss sich bei den nächsten Spielen definitiv was ändern, gut das es den Befragungsbogen zum Spiel gibt.
Dann endlich im Block, der Versuch noch in irgendeine Reihe zukommen stellte sich als sinnlos heraus und so blieben wir am Rand stehen. Doch der Blick nach links entschädigte ungemein. Alle standen, die Ultras waren optisch noch nicht anwesend, und überall sangen vereinzelte Gruppen ihre Lieder. Hätte man dieses Szenario in schwarz-weiß gefilmt, man hätte denken können es ist ein Film aus den 60er, 70er…. herrlich. Dann die Hymne und das Tor, totale Extase, Bierbecher flogen und wäre ich nicht schon komplett nass gewesen, dann wäre spätestens jetzt der Moment gekommen. Dann die Tore von Becker, das Anschlusstor nahmen wir hin und taten es Kosmetikkorrektur ab. Stimmung immer noch auf unserer Seite überragend. Wie es auf der anderen Seite aussah? Keine Ahnung! Optisch war keine Mitmachquote
erkennbar, aber es war auch zeitweise brachial Laut.
Halbzeit, meine Blase zwingt mich nach draußen und natürlich ist die Rückkehr ins Rund mit dem Ersten Versuch vergleichbar. Ordner fragt ob ich schon drin war? Karte will er diesmal gar nicht sehen! Während sich die Massen nur langsam verschieben, kommt aus dem VIP Bereich Gregor Gysi. Ein von mir spontan imitiertes ”Alle sind se da, alle sind se da, außer Erich Honicker“ findet nur wenig Anklang, aber mich amüsiert es trotzdem. Aus dem Stadion ist der ”Morgengrauen..“ zu hören und während ich über das unpassende Timing nachdenke, sehe ich meine Bedenken an der Anzeigetafel als bestätigt an. Trotz allem bleibt die Stimmung gut. Und dann ist sie wieder da, die ominöse 94. Minute.
Meine Trauer ist geprägt von dem
Wissen, dass es wohl keine zusätzlichen Reisen nächstes Jahr durch Europa geben wird, weniger über die Niederlage an sich.
Und doch bin aber ich dann schnell wieder in der Realität angekommen. Irgendwie muss ich da an ein Spiel gegen Habsa II denken, von vor 25 Jahren. Wir spielten vor 750 Zuschauern bei strömenden Regen und ich war ähnlich durchnässt wie in diesem Moment. Wenn ich nun in das Rund gucke, sehe ich 75.000…..was für eine Reise! Ich denke an meine ersten Spiele und wie ich damals sozialisiert wurde. Ein Spruch hat sich in mein Gehirn gebrannt: ”Richtig Unioner wirst du nur wenn deine Karriere mit einer Niederlage beginnt und du trotzdem wiederkommst“. Heute haben wir genau diesen Moment wieder zum Leben erweckt und allen die das erste Mal da waren gezeigt, wie man mit Niederlagen umzugehen hat. Wer dies gefühlt hat, wird sicher sein Herz an Union verlieren, wer nicht hat den Fußball nicht verstanden.