Ich bin jemand, der fast täglich im Forum liest, aber nur sehr selten (und inzwischen seit Jahren gar nicht) selber Beiträge schreibt, weil ich einerseits mit dem teils unsachlichen Niveau der Diskussionen nicht klar komme, andererseits aber auch oft denke, dass ich nichts groß erhellendes beitragen kann, aufgrund fehlender Nähe als Exiler und mangelndem Fußballsachverstand als Laie
In meiner Unionbezugsgruppe (wir stehen auf der GG, ungefähr auf Höhe der Strafraumgrenze) wird natürlich auch fleißig diskutiert und ein Beitrag von Sören in unserer privaten Gruppe (einige, vor allem aus dem näheren Umkreis im Stadion, werden ihn kennen) hat bei uns viel Zustimmung gefunden. Da er auch mein Empfinden viel besser zum Ausdruck bringt als ich es selber könnte, möchte ich diesen (mit Sörens Erlaubnis) gerne einfach komplett als Diskussionsanstoß "in das Forum hieven" und ich denke, am besten passt er in diesen Faden. Wenn die Moderatoren der Meinung sind er passt besser in "Zur Lage", kann er auch gerne verschoben werden.
Also, los gehts:
"Hallo Leute,
nachdem ich heute im Stadion gefragt worden bin, warum ich mich nicht an den Diskussionsbeiträgen der letzten Zeit beteilige ein paar Worte von mir. Das Ganze bestärkt durch den erneut ganz schwachem Auftritt unserer Mannschaft gepaart mit einer für unsere Verhältnisse mäßigen Unterstützung.
Ich muss jedoch vorneweg sagen, dass ich von euren letzten Beiträgen nicht alle gelesen habe (sorry ihr fleißigen Schreiber, aber das war echt viel). Also kann es ggf. zu Doppellungen kommen...
Wie sehe ich die Entwicklung und sind die Rauswürfe von Keller sowie Pedersen richtig? Jens Keller und sein Co sind aus sportlicher Sicht ein Glücksgriff für den Verein gewesen. In den letzten fast 18 Monaten haben wir einige sehr gute und teils berauschende Spiele unserer Mannschaft gesehen. Fußballerisch und taktisch war das ein Niveau, welches ich an der AF so seit den Jahren 2000 bis 2002 nicht mehr gesehen hatte und dieses jetzt sicherlich noch übertraf. Was fehlte war der ganz große Wurf - Aufstieg. Naja... das können wir jetzt nur nicht mehr mit Sicherheit sagen, da die Zwei nicht mehr da sind. Ein Blick weit zurück in die Saison 99/00 - Jahr eins unter Trainerlegende Wassilew. Der Verein nach Lizenzentzügen und dem fast Konkurs wirtschaftlich das erste Mal nach der Wende auf gutem Wege. Für das Ziel Aufstieg in Liga 2 stand ein überdurchschnittlicher Kader zur Verfügung. Nach dem Durchmarsch mit 17 Punkten Vorsprung in der 3. Liga wurde der Aufstieg in beiden Religationen vergeigt. Wassilew durfte bleiben und der Kader wurde noch weiter verstärkt für die erstmalig 2-gleisige 3. Liga mit je 2 direkten Aufsteigern. Was folgte war eine mittelmäßige Hinrunde. Und nachdem aus den ersten 4 Rückrundenspielen nur 2 Punkte geholt worden sind, war der Aufstieg de facto futsch. Es folgten jedoch 11 Siege in Serie davon 10 zu nullt... AUFSTIEG.
Okay, dass mag lange her sein, aber solch ähnliche Serien kommen im Fußball immer wieder vor. Sportlich ist die Entlassung für mich eine viel zu vorschnelle Entscheidung.
Aus der Werte-Sicht wäre die Entscheidung vertrebarer. Denn zu einem emotionalen Verein wie Union passt kein Trainer, für den das nur ein Job ist und dies so auch an die an die Spieler weiter gibt. Nur um die typischen Union-Werte geht es nur noch oberflächig (wobei noch zu klären wäre, was alles zu den Union-Werten zählt). Unser Präsi spricht vom Produkt. Die 1. Mannschaft ist ein Geschäft. Die 1. Liga und die weitergehende Kommerzialisierung sind überlebensnotwendig, da müssen wir leider mitschwimmen. Müssen wir das wirklich? Nur weil man etwas machen kann, muss es denn auch unbedingt gemacht werden?
Das streichen des 2-Spiele-Rabbates bei DK ist logisch, da die Nachfrage da ist und der Verein nix zu verschenken hat bei dem Erreichen des Zieles 1. Liga. Ist das so? Annahme: 12.000 DK × 2 Spiele x 25€ (keine Ahnung wie hoch der Anteil der Sitzplätze... wirklich ist) abzgl. 19% Mwst. = 486.000€. Das sind bei einem Etat von 38,5 Mio 1,2% und bei einem Personaletat von 16,3 Mio 3% (Darmstadt hat als Bundesligaabsteiger einen Personaletat von ca 11,5 Mio). Dafür also eine traditionelle Geste an die Fans streichen. Die Fans, die dafür gesorgt haben, das es den Verein noch gibt und zugleich als ein so besonderer und traditionsreicher Verein wahrgenommen wird. Ich habe damit ein Problem! Denn wenn wir alles/ vieles dem Leistungsprinzip unterwerfen und unsere Werte vernachlässigen/ Wurzeln vergessen, sind wir dann nicht ein stinknormaler Verein in der Hülle eines Traditionsvereines? Und ich gehe noch weiter: früher oder später wird Hertha aus nachvollziehbaren Gründen ein neues Stadion auf dem Olympiagelände bekommen. Außer in den Farben, worin unterscheiden wir uns denn voneinander noch und warum sollte jemand aus dem Westteil der Stadt nach Köpenick zum Heimspiel fahren?
Die schwachen Leistungen des Teams kommen auch daher, dass das offenbar kein verschworenes Team ist. Dieses ist aber nötig, um ein großes Ziel zu erreichen. Zu blutleer sind die Vorstellungen der Jungs.
Aber was erwarten wir, wenn einzelne Spieler mit Geld überzeugt werden zu kommen und zu bleiben und somit die Gehaltshygene (also Unterschiede) nicht mehr ganz stimmt. Anstelle unserer Werte in den Fokus zu stellen und wem das zu wenig ist, der soll doch gehen. Freiburg schafft das seit Jahren erfolgreich!
Wir können aus meiner Sicht auf Dauer nur in den ersten beiden Ligen bleiben, wenn wir unser "anders-sein" nach innen und außen leben. Wenn wir uns zu sehr an den anderen orientieren, werden wir früher oder später scheitern, denn diesen Weg gehen fast alle (außer Freiburg).
Zusammenfassend: Ich steige lieber irgendwann mit einem eingeschworenem Haufen auf als jetzt auf Zwang.
Die geschaffene, überzogene Erwartungshaltung führt auf den Rängen immer mehr zu einer Lethargie, die ich so nicht kenne bei Union. Abschreckendes und krasses Beispiel ist Arsenal. Einst stimmungsgewaltig im Highburry und jetzt die "Bibliothek".
Wenn der Verein alles dem sportlichem Erfolg unterordnet, sind wir dann wirklich noch so viel besser, weil anders, als Hertha oder der BVB? Ich erkenne da denn kaum Unterschiede.
Es wird wohl schwer diese Entwicklung aufzuhalten. Also lasst es uns auf der Gegengrade weiter genießen, ordentlich Stimmung zu machen und lasst uns für unsere Vorstellung vom Verein einsetzen.
Wenn ich allerdings irgendwann gebeten werde, zum singen hinters Tor zu gehen oder mich wieder hinzusetzen, dann erinnere ich mich zurück (ich hab damals das Original noch erlebt). Sage dann Tschüss und niemals vergessen ... EISERN UNION!!!
Ergänzung: unser Präsi Dirk Zingler hat 2004 den Verein in einer seiner schwersten Stunden übernommen. Das war für ihn als Vater und Unternehmer ein sicherlich nicht zu unterschätzendes Risiko gewesen. Er und sein Team haben rückwirkend betrachtet viele richtige und gute Entscheidungen für den Verein und somit auch für uns getroffen (das kann man ja immer erst im Nachgang bewerten). Dafür gebührt ihm wirklich mein großer Dank! Nur den jetzigen Weg sehe ich kritisch (wie oben geschildert). Indem sich zu sehr an Zahlen orientiert wird (Rabatte = Kostenstelle; Mitgliedsbeiträge = Einnahmequelle; Erfolg = 1. Liga). Das (Lebens-)Gefühl Union und die Identifikation dahinter kommen mir bei unserem (scheinbar so anderen und) familiären "Traditionsverein" aktuell einfach zu kurz.
So, dass musste ich jetzt noch los werden."
(Vielen Dank an Sören)